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Andreas Köbner / Komponist 

Gedanken zur Filmmusik
 



Vorbemerkung.

Diese Überlegungen entwickelten sich während meiner Jahre als Dozent. Ich bringe sie hier in einer äusserst knappen Form. Hervorheben möchte ich zwei Punkte:
dass nämlich die Art und Weise, in der ich ein Ding wahrnehme, das Ding selbst verändert (zumindest seine Beziehung zu mir)
und meine Unterteilung in drei Funktionen von Filmmusik:
Information + Orientierung; Konditionierung; Design.



Wurzeln.

Die heute zu hörende Musik ist in einem relativ kurzen Zeitraum, etwa 500 Jahren, entstanden. Anders als bei Dichtung, Malerei und Bildhauerei oder Architektur ist in der Musik Älteres für uns verloren, gesicherte Rekonstruktionen (wie´s wirklich geklungen hat) sind kaum möglich. "Abendländische Musikgeschichte" spielt sich in diesem Rahmen ab, ebenso bezieht sich ein die Epochenstile differenzierendes Hören auf die hier entwickelten musikalischen Ausdrucksformen.
Kommt uns eine Musik also beispielsweise üppig-naturromantisch, oder barock-streng, oder sakral-mitelalterlich, oder expressiv-modern vor, so erreicht sie dies mit Mitteln, die in diesem relativ kurzen Zeitraum entwickelt wurden.

Filmmusik hat Wurzeln in der Affektenlehre des Barock, in der Programm-Musik des 19.Jhdts. und den dort entwickelten Relationen zwischen musikalischen Floskeln und (aussermusikalischer) Bedeutung und Assoziation und natürlich in der Musik des Jahrmarkts und in der Bühnenmusik. Sie geht mit den im Laufe der Musikgeschichte entwickelten musikalischen Ausdrucksformen völlig eklektizistisch um, denn sie hat ja vor allem eine Aufgabe: sie muss Bedeutung, Stimmung und Stil schaffen, und dazu benutzt sie, was es gibt und was sie bekommen kann.




Film-Wahrnehmung.

Was im Film zu sehen und zu hören ist, auch wenn´s ein realistisches Abbild der Wirklichkeit scheint, ist nicht dieses Abbild allein, sondern trägt eine Bedeutung. Den Film folgen kann der Zuschauer nur, wenn er diese Bedeutung versteht. Alle Teilbereiche, aus denen der Film besteht (z.B. Kamera, Ton, Musik, Schnitt), arbeiten so. (Die Kamera zeigt etwas - aber wie sie es zeigt, kann etwas bedeuten; der Schnitt montiert Szenen - aber wie er sie montiert - etc. etc.)
Das Verstehen dieser Bedeutungen ist inzwischen eine (bald überlebensnotwendige) Kulturtechnik, geschieht weitgehend unbewusst und basiert auf einem sich ständig aktualisierenden passiven Wortschatz (also einer Fähigkeit, die Bildersprache zu verstehen) des Zuschauers: er weiss, welcher kinematografischen Aktion er welchen Sinn zu geben hat.

Filmmusik wird in diesem Kontext in gleicher Weise entziffert.



Definitionen.


1. Definition:

Filmmusik ist keine spezifische musikalische Gattung, Form oder Stil, sondern einfach jede Musik, die zu einem Film angelegt wurde.

(Dennoch gibt es typische Filmmusiken, denen man ihre Film-Herkunft anhört, beispielsweise durch ihren illustrativen Charakter.)
Aber auch unsprünglich autonome Musiken können eine Karriere als Filmmusiken machen. Kompositionen, die häufig als Filmmusik Verwendung finden, sind beispielsweise Saties "Gymnopedes" oder die Air aus der Orchestersuite in D von Bach, Albinonis Adagio für Streicher oder "The Unanswered Question" von Charles Ives, um nur einige zu nennen.

Die Definition "Filmmusik ist jede Musik, die zum Film angelegt worden ist" scheint zunächst wenig hilfreich. Es gibt zwar typische Eigenschaften für eine bestimmte Art von (illustrierender) Filmmusik wie das Verwenden von Floskeln oder eben ihr illustrativer Charakter), aber diese Eigenschaften müssen nicht auf alle Filmmusik zutreffen. Manche Filme sind sogar grösstenteils mit vorbestehender Musik unterlegt worden (z.B. Kubricks "Odyssee 2000" oder "Easy Rider").

Man kann jedoch aus dieser Definition folgenden Gedanken entwickeln:

Was Filmmusik von anderer Musik unterscheidet, ist nicht primär in ihrer Machart, sondern in ihrer Rezeptionssituation begründet.
Dadurch, dass Filmmusik eine Musik ist, die man zum Bild hört, wird sie anders wahrgenommen als andere Musik.

Dies führt zur


2. Definition:

Filmmusik unterscheidet sich von anderer Musik durch ihren Bedeutungszusammenhang zum Film.

Der Zuschauer möchte dem Film folgen, ihn verstehen, und dabei nimmt es alle Äusserungen des Films als Hilfe für´s Verstehen her - auch die Musik. Er befragt die Musik also (unbewusst) nach ihrer Bedeutung für den Film.
Dieser zielgerichteten Haltung des Rezipienten entspricht die Haltung des Filmmusik-Komponisten zu seiner Kunst: Er setzt musikalische Mittel ein, um ganz bestimmte Wirkungen zu erzielen, seine Kompositionen sind keine Musik um ihrer selbst willen; sein Verhältnis zu seiner Kunst ist ein anderes als das eines Komponisten autonomer Musik.

Man kann also behaupten:


3. Definition:

Filmmusik ist funktionale Musik, Gebrauchsmusik.

Und jede Musik (auch eine, die ursprünglich als absolute konzipiert war) wird zur Gebrauchsmusik, sobald sie Filmmusik ist.


Schliesslich entsteht ein Film (bzw. ein TV-Movie, oder eine Serienfolge - für all das steht hier immer das Wort Film) in arbeitsteiliger Produktionsform, dadurch ergibt sich ein vom traditionellen Kunstwerk unterschiedener Werkbegriff:
Das Kunstwerk (soweit man davon überhaupt noch sprechen möchte bei Industrieproduktionen, wie es Film- und TV-Produktionen nun mal sind) ist der Film; die Kunst des Autors, des Kameramanns, der Schauspieler oder des Komponisten liefern Beiträge, Einzel-Teile zu diesem "Kunstwerk"; und diese arbeitsteilige Produktionsform führt bei allen am Film beteiligten Einzel-Künsten zur Funktionalität (mit der Frage: mit welchem Mittel erreiche ich am günstigsten den gewünschten Effekt).



Unterscheiden

kann man ganz pragmatisch zwischen on- und off-Musik einerseits und zwischen komponierter und Fremdmusik andererseits.

on-Musik ist jede Musik, die durchs Bild begründet ist, als Musik aus CD-Player o.ä. im Bild, Musik von im Bild sichtbaren Musikern, Hintergrundmusik in Kneipen oder anderen Räumen, in denen gewöhnlich Musik zu hören ist, Musik zu Tanzszenen etc.

off-Musik ist dagegen die später hinzugefügte, kommentierende Musik, also die Filmmusik im engeren Sinne. Sie ist ein Produkt des kinematografischen Bedeutungsapparates, ist vom Abbildungsrealismus her nicht notwendig, sondern eine Bedeutung stiftende und untere Umständen formgebende Zutat der Macher.
Die Grenzen können hier fliessend sein. So kann eine Musik aus dem Bild begründet sein (Nacht: ein spielender Musiker ist zu sehen), in weiteren Szenen jedoch ohne diese Begründung als off-Musik fortgeführt werden (Zeitschnitt: Morgen, die gleiche Musik ist immer noch zu hören, aber nun als off-Musik).

Die Unterscheidung zwischen eigens für den Film entworfener komponierter Musik einerseits und Fremdmusik, also bereits bestehender Musik, die man dem Film angelegt hat andererseits liegt auf der Hand.




Die Funktionen

von Filmmusik lassen sich in drei grosse Gruppen unterteilen:

Information/Orientierung
:

hier wird Bedeutung vermittelt (z.B. durch Akzente auf Detailaufnahmen: das ist wichtig! oder: gefährlich!);
hier werden besondere Sequenzen durch Musik eindeutig bezeichnet (z.B. Rückblenden, Traumsequenzen etc.;
manche Musiken (z.B. Hochzeitsmarsch) transportieren von sich aus schon klare Informationen über den Gehalt der Szene;
oft bekommen Establishing-shots (dummes Beispiel: München-Frauenkirche=Blasmusik / New York-Skyline="New York-New-York"-Jazz-Sax) zur Orientierung bestimmte Musiken zugeordnet.

Konditionierung:

"den Herzrhythmus des Zuschauers bestimmen", ihn nervös machen, beruhigen, anspannen, lösen, rühren. Durch elementare Mittel: Rhythmik, Klang, Dynamik.
Die wichtigste Funktion von Filmmusik: Gefühle herstellen, den Zuschauer einstimmen, fesseln, bewegen.

Design:

die o.g. Funktionen (Orientierung und Konditionierung) können mit Musiken der unterschiedlichsten Stile erfreicht werden, beispielsweise mit symphonischer Musik im Stil des 19. Jhdts. ebenso wie durch Popmusik oder Jazz. Das Design des gesamten Films wird beeinflusst (und sollte abgestimmt sein) auf Stil und Genre, Besetzung und Gestus der Musik.
Stimmiges Musikdesign ist entscheidend für die Geschlossenheit des Films und für seine Wirkung auf die angestrebte Zielgruppe. (Deshalb hat "Trainspotting" ein anderes Musikdesign als "The Rock").



Tendenzen

Man kann (bei aller Vorsicht) eine Entwicklung sehen von einer eher konventionellen Orchester- oder Popmusik, die mit musikalischen Mitteln nachzeichnet und die deutlich als Musik erkennbar eingesetzt wird hin zu einem integrierten soundtrack, in dem Musik und sounddesign und Geräusche kaum mehr unterscheidbar sind; wo Musik fast ständig vorhanden ist, oft reduziert auf Klänge und Effekte; wo (überspitzt fortmuliert) die eigentliche Komposition der soundtrack ist - die Musik ist nur eine seiner Ingredienzien.



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