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Andreas Köbner / Komponist 

Zum Urheberrecht
 



Zusammenfassung


Die GEMA zieht im Auftrag des Urheber Gebühren ein. Sie arbeitet dabei auf der Grundlage geltenden Rechts. Dass man von der Öffentlichkeit nicht geliebt wird, ist man gewohnt; aber man hat sich mit den Folgen des negativen Images bei der GEMA bisher nicht wirklich beschäftigt.
 
Meine These (die ich am Beispiel des GEMA-YouTube-Konflikts entwickle) ist, dass
 
1. sich derzeit das Rechtsempfinden dramatisch von der Position der GEMA entfernt;
2. befeuert durch soziale Netzwerke sich das GEMA-Image in einer kaum aufhaltbaren Abwärtsspirale befindet;
3. sich dies letzten Endes auch in Urteilen und Gesetzen wiederfinden wird: Wenn die gesellschaftliche Akzeptanz einer Insitution so gering wird, werden auch die Richter ihren Entscheidungsspielraum eher im Sinne des Mainstreams, weniger im Sinne der verachteten Institution auslegen, werden die Gesetzgeber langfristig gegen diese Institution arbeiten.
 
Deshalb denke ich, dass die GEMA
 
4. zukünftig den Inkasso-Erfolg einer Massnahme gegen die Kosten des Imageverlustes dieser Massnahme abwägen muss,
5. was zu einer Änderung der Präferenzen führen muss: keine unpopuläre Massnahmen mit geringem wirtschaftlichem Erfolg -
6. dafür könnte man damit positive Werbung machen: seht, wir verlangen nichts von Altenheimen und Kindergärten.
7. All das wird nicht billig sein, man müsste die Mitglieder dafür gewinnen.
 
Ich denke, langfristig wird solch ein Konzept der Imagepflege unerlässlich sein, aber ich fürchte, weder von Seiten der Mitglieder noch von der GEMA selbst gibt es dafür ein Bewusstsein. Und je länger man wartet, desto schwieriger und teurer wird es werden.




Rechtslage, Rechtsempfinden, Veränderungen

Es gibt ja Dinge, die keinen interessieren. Jahrelang. Und auf einmal sind sie plötzlich ein Thema. Das Urheberrecht ist solch eine Sache. Spätestens seit der Sperrung von Musikvideos durch YouTube vor einigen Jahren ist eine rege Diskussion darüber in Gang gekommen. Nun ist unser Urheberrecht ja nichts Neues, und es ist auch nicht erst kürzlich geändert worden. Aber YouTube ist etwas Neues, und der Gedanke liegt nahe, dass hier etwas Älteres (nämlich das Urheberrecht) anders empfunden wird, seitdem dieses Neue (nämlich YouTube, das Netz, die digitale Kopie) in der Welt ist.
 
Was Recht und Gesetz angeht, so gibt es erstens eine Rechtslage. Zweitens gibt es ein Rechtsempfinden und drittens gibt es immer wieder Veränderungen, ökonomische, gesellschaftliche oder technische beispielweise, welche Rechtsempfinden und Rechtslage beeinflussen können. Idealerweise fallen Rechtslage und Rechtsempfinden zusammen. Das ist etwa bei Mord und Gewalttaten so. Da weiß auch der Täter, dass er nicht recht gehandelt hat. Entwicklungen, die das Rechtsempfinden von der Rechtslage entfernen könnten, sind schwer vorstellbar. Anders ist es z.B. im Sexualstrafrecht. Hier hat sich die vor Jahrzehnten gängige Auffassung, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen abnorm und zu verfolgen seien, in der letzten Zeit grundlegend geändert, was sich mit einer gewissen Verzögerung und durch den Druck den Öffentlichkeit dann auch in der Gesetzgebung niedergeschlagen hat. Eine Veränderung der Sichtweise in der Gesellschaft bewirkte eine Veränderung des Rechtsempfindens und am Ende auch der Rechtslage.
 
Die Veränderungen, die im Falle des Urheberrechts das Rechtsempfinden beeinflussen, sind ursprünglich technischer Art. Neu sind: die digitale Kopie, die günstig verlustfreie Klone des Originals herstellen kann; das Netz, in dem fast alles irgendwo vorhanden ist; die Suchmaschinen, die es finden können. Damit ist es möglich, auf eine neue Weise (nämlich durch eine Suchanfrage und ein paar Mausklicks) etwas (nämlich Musik, Filme, Bilder, Texte, also Inhalte) zu bekommen, und zwar in einer neuen Form, als Datei, sozusagen körperlos, als reine Information. Das alles ist nicht nur von der Technik her, sondern auch von der Art und Weise, wie es erlebt wird, etwas Neues. Eine CD aus dem Laden zu klauen fühlt sich anders an als ein Download. Man muss erst lernen, was am Rechner ein Diebstahl ist und was nicht. Weil es so einfach und selbstverständlich ist, im Netz an alle möglichen Inhalte zukommen, hat man zunächst das Gefühl, dass man dazu doch eigentlich ein Recht haben sollte. Restriktionen erscheinen als Schikane.
 
Es ändert sich also gerade das Rechtsempfinden, weil es technische Veränderungen gegeben hat, aber nicht allein deswegen. Es hat auch damit zu tun, wie die von diesen Entwicklungen betroffenen und an ihr beteiligten Spieler sich verhalten, wie geschickt sie agieren und wie viel Macht sie haben. Im Prinzip sind es drei: einerseits die Urheber und ihre Vertreter, also die Verwertungsgesellschaften, oder die großen Rechteinhaber, an die die Urheber ihre Rechte verkauft haben, wie Sony oder EMI. Dann auf der anderen Seite die Nutzer, die im Netz surfen, und zuletzt zwischen diesen beiden die Internetanbieter, die die Inhalte im Netz zur Verfügung stellen.


Konfliktverlauf

Begonnen hat alles damit, dass urheberrechtlich geschützte Inhalte ins Netz standen, zunächst in Tauschbörsen oder auf illegalen Download-Portalen. Viele Nutzer haben sich diese Inhalte geholt, bald haben die Urheber und ihre Vertreter sie deshalb verfolgt. Es gab Abmahnungen von darauf spezialisierten Anwälten. Ein gewisses Unrechtsbewusstsein (allerdings eher in der Art: "wir wissen jetzt, dass wir das nicht tun dürfen, aber wir sehen überhaupt nicht ein, warum") entstand daraufhin bei den Nutzern, vor allem aber eine große Wut auf die Urheber und ihre Vertreter. Die Krise der Beziehung zwischen Urhebern und Nutzer begann. Sehr bald war klar, dass sich die Unterhaltungsindustrie nicht einfach ausplündern lassen wird. Bis auf ein paar Spezialisten, die Tricks kannten, um einer Verfolgung zu entgehen, verzichteten die meisten Nutzer nun verschreckt auf das illegale Herunterladen. Das Bedürfnis aber, sich Inhalte aus dem Netz zu holen, blieb. Es gab zwar Angebote zum legalen Download (wie Apples i-tunes), vielen war das aber zu umständlich und zu teuer. Als Alternative boten die Internetanbieter daraufhin Streaming an, entweder als kostenlosen Service (z.B. in den Mediatheken der TV-Sender), oder als günstiges Abo (z.B. Spotify).


Sonderfall YouTube

In einer Grauzone operierte dabei YouTube: hier stellt der Internetanbieter nicht selbst die Inhalte ins Netz, sondern er stellt nur die Infrastruktur dazu zur Verfügung. Es sind die Nutzer, die die YouTube-Rechner mit Videos füllen, und wenn diese urheberrechtlich geschützt sind, so ist das Veröffentlichen (das dann illegal ist) nichts, was YouTube getan hätte, sondern etwas, was der jeweilige Nutzer, der diesen Inhalt auf YouTubes Server geladen hat, zu verantworten hat. Sagt YouTube. Deshalb wird YouTube auch erst dann tätig, wenn sich jemand beklagt.
 
Nun ist ja YouTubes Service nicht nur das großzügige Geschenk, als das es zunächst erscheint: schaut her, hier dürft ihr alles Mögliche ansehen, dürft eure Videos online stellen, und das alles gratis. Denn das ist ja teuer; die Rechenfarmen, die da zur Verfügung gestellt werden und ihr Betrieb kosten eine Menge Geld. Das muss YouTube durch die Verwertung der Nutzerdaten verdienen. Zweifelhaft an diesem Geschäftsmodell, dem auch Facebook oder Google folgen, ist übrigens, dass dem Nutzer in der Regel nicht bewusst sein wird, dass der Dienst von seinen Daten lebt. Vielleicht steht etwas davon irgendwo in den Nutzuzngsbedingungen versteckt geschrieben, aber sicher nicht auf der Startseite. Der Nutzer soll glauben, dass er beschenkt wird. Aber das ist ein anderes Thema.
 
Die Verwertungsgesellschaften sagen zu YouTube: Ihr verdient Geld durch eure Besucher. Die suchen etwas Bestimmtes, dadurch offenbaren sie ein Interesse, so kann man ein Profil erstellen, und das verwertet ihr. Die Besucher kommen nur wegen der Inhalte; nur dann, wenn auf eurer Seite Inhalte sind, könnt ihr verdienen. Damit verdient ihr durch die Inhalte euer Geld. Deshalb ist das eine geschäftliche Nutzung der Inhalte, und deshalb müsst ihr die Urheber, die diese Inhalte geschaffen haben, angemessen an eurem Gewinn beteiligen.


Konfliktmanagement

Das ist im Prinzip der Konflikt zwischen GEMA und YouTube (im Detail ging es noch um die Herausgabe von Zugriffsdaten und anderes, und die GEMA klagte zusammen mit sieben weiteren Musikautorengesellschaften). Interessant ist nun, wie sich die beiden Kontrahenten in diesem Konflikt verhalten haben. Die GEMA hat sich zehn urheberrechtlich geschützte Titel ausgesucht, die bei YouTube zu sehen waren, und vor Gericht gegen die Veröffentlichung dieser zehn Titel geklagt (die sieben weiteren Gesellchaften klagten gegen die Verwendung von weiteren 65 Werken aus ihrem Repertoire). Daraufhin hat YouTube wahllos bei Zehntausenden von Videos immer dann, wenn sie von Deutschland aus nachgefragt wurden, einen Sperrvermerk eingeblendet, auf dem zu lesen war, dass die GEMA die Veröffentlichung dieses Videos in Deutschland verboten hätte (was überhaupt nicht stimmte), und das entsprechende Video gesperrt. Die Verärgerung bei den Nutzern war gewaltig, und die GEMA hatte dadurch einen riesigen Imageverlust vor allem bei den jüngeren, internet-affinen Leuten. Es dauerte mehrere Jahre, bis eine Klage der GEMA gegen diese Praxis Erfolg hatte, obgleich die Sachlage eindeutig war und die Gerichte dies auch so sahen, da die Gegenseite unbeirrt in Berufung ging; selbst heute ist das (letztinstanzliche) Urteil noch nicht rechtskräftig. Man hat also erfolgreich auf Zeit gespielt. Heute hat YouTube hat seine Propaganda erheblich eingeschränkt, hat aber sein Ziel, das Image des Gegners nachhaltig zu beschädigen, in diesen Jahren sicherlich erreicht.
 
Die GEMA hat sich in diesem Konflikt genauso verhalten wie in zahlreichen anderen vergleichbaren Streitfällen zuvor. Man hat versucht, auf der juristischen Ebene Recht zu bekommen, und am Ende ist das auch gelungen. Die Frage ist nur, wie viel das nützen wird. Denn diese Auseinandersetzung (um die vorgeblich von der GEMA verlangte Sperrung von Videos) war ja nur ein Neben-Gefecht im eigentlichen Streit, in dem es darum geht, ob und auf welche Weise YouTube der GEMA Nutzungsgebühren zahlen wird. YouTube hatte eine völlig andere Strategie. Hier ging es nicht um Recht oder Unrecht, sondern um Stimmung. Indem behauptet wurde, die GEMA sperre willkürlich alle möglichen Videos, brachte man die Nutzer auf seine Seite und gegen die GEMA auf. Die Mitteilungen, dass man ein Video leider nicht zeigen könne, waren in bedauerndem Ton gehalten, der Nutzer wurde dabei geduzt, und sie endeten mit dem Satz "Das tut uns leid." So entstand ein Wir-Gefühl zwischen dem enttäuschten Nutzer und YouTube, das leider nicht anders konnte als seine Dienste, die es ja gerne anbieten würde, zu verweigern, und gleichzeitig wuchs die Aversion gegen die GEMA und ihre Anwälte. Auf so etwas muss man erst mal kommen, dass man seinen Kunden den grundlegenden Dienst verweigert und einfach behauptet, ein anderer sei daran schuld - nur um eine Aversion gegen diesen anderen zu schüren, in der Hoffnung, dass dies bei einer anstehenden späteren Auseinandersetzung von Nutzen sein könne. Im Sport würde man von einem groben Foul sprechen oder besser von einer dreisten Schwalbe. Aber die führen ja manchmal auch zum Elfmeter und zum Sieg. Ich denke, dass YouTube mit dieser (man kann schon sagen: perfiden) Strategie alles richtig gemacht hat. In der öffentlichen Wahrnehmung liegt die GEMA jetzt so etwa zwischen der GEZ und der Stasi, während YouTube nach wie vor ein guter Freund ist. Richter sind bekanntlich auch nur Menschen (manchmal haben sie auch Kinder, die in diesem Fall sicher eine dezidierte Meinung haben) und es soll keiner sagen, dass ihre Stimmungen ohne Einfluss auf ihre Urteile sind.


Wohin gehts?

Warum war diese Image-Kampagne von YouTube so erfolgreich?
 
Erstens, weil das Ansehen der GEMA schon zu Beginn des Konfliktes schlecht war. Auseinandersetzungen um Gebührenforderungen an Altenheime und Kindergärten und Auseinandersetzung mit Clubs hatten bereits das Bild einer kalten, unnachgiebigen, nur auf Profit ausgerichteten Behörde gezeichnet. Eine Vor-Verurteilung hatte längst stattgefunden, der Gegner war Image-mäßig bereits angezählt, ein Feindbild schon vorhanden.
 
Zweitens, weil das Vorgehen der GEMA in den genannten vorausgegangenen Konflikten nahelegte, dass sie nicht in die Öffentlichkeit gehen und sich dort um eine Korrektur ihres Erscheinungsbildes bemühen würde. Das hatte sie auch bisher nicht getan; einmal, weil sie weder Erfahrung und Expertise in Public Relations, noch nennenswerte Möglichkeiten dazu hatte, und zum anderen deshalb, weil man es wohl nicht für nötig hielt. Wozu soll man viel Geld für Öffentlichkeitsarbeit ausgeben, wenn man gute Anwälte und das Recht auf seiner Seite hat?
 
Drittens, weil YouTube als marktführender, weltweit agierender Konzern, auf dem täglich um die 100 Millionen Clips angesehen werden, eine unvorstellbar viel grössere Macht hatte, auf die Öffentlichkeit einzuwirken, und davon auch heftig Gebrauch gemacht hat. Jedem seiner Besucher konnte YouTube jahrelang mit den angeblich von den GEMA veranlassten, in Wirklichkeit aber selbst verursachten Video-Sperrungen gegen die GEMA aufbringen und damit deren Image endgültig vernichten. Man kann an diesem Konflikt exemplarisch gegensätzliche Entwicklungslinien erkennen:
 
Die GEMA operiert auf der Basis des geltenden Rechts und gewinnt damit immer noch Prozesse. Seit Jahrzehnten zieht man im Auftrag der Urheber Gebühren ein; dass die Musiknutzer nicht begeistert sind, wenn sie zahlen sollen, kennt man, ein leicht frostiges Verhältnis zur Öffentlichkeit ist man also gewohnt. Für das eigene Anliegen zu werben, es verständlich zu machen, eine Akzeptanz dafür zu schaffen, all das schien bisher ebenso schwierig wie unnötig. Nun wird aber das, wofür man steht, in der Öffentlichkeit in dramatisch zunehmender Weise kritisch gesehen, ja inzwischen geradezu gehasst. Es ist zu befürchten, dass diese Entwicklung, sollte man ihr nicht entgegenwirken können, der GEMA eines Tages den Boden unter den Füßen wegziehen wird.
 
YouTube denkt strategisch. Erst einmal muss der Boden bereitet werden für eine Änderung des Rechtsempfindens - in der Wahl der Mittel braucht man dabei nicht allzu zimperlich sein - , dann wird sich das auch früher oder später in einer Schwächung der Urheber und ihrer Vertreter auch auf der Gesetzesebene niederschlagen. Gerichtliche Niederlagen nimmt man auf diesem Weg durchaus in Kauf. Firmen wie YouTube haben Millionen von Nutzern auf ihrer Seite, die sie beeinflussen können. Man hat gesehen, dass sie keine Bedenken haben, das auch zu tun. Sie haben Macht, und sie üben sie aus.


Zukunftsmusik: Recht haben oder Recht behalten

Das Rechtsempfinden wendet sich gegen das Urheberrecht, es hat wenig Sinn, davor die Augen zu verschließen. Anzeichen dafür gibt es genug: Musiker bieten neue Stücke gratis zum Download an, Autoren stellen Artikel (Wikipedia) und Informatiker Software (Open Source, GNU) bis hin zu kompletten Betriebssystemen (Linux, Ubuntu) frei zur Verfügung. All das zeigt: es gilt als cool, auf seine Urheberrechte zu verzichten. Uncool dagegen ist, seine Urheberrechte einzufordern, sie einzuklagen, diejenigen, die sie nicht achten, zu verfolgen, das zeigt das GEMA-Bashing, das nicht erst seit der YouTube-Kampagne im Gange ist.
 
Gerade Künstler, Musiker, Filmemacher brauchen ein gutes Verhältnis zu ihrem Publikum. Eine Assoziation mit abmahnenden, Tantiemen-eintreibenden Anwälten würde das beschädigen. Wenn ein Markt wegbricht, hat es keinen Sinn, dem nachzuweinen, man muss sich pragmatisch einen neuen suchen. Aus dem Tonträgerverkauf ist nichts mehr zu holen, das Geld muss jetzt vor allem mit vielen Konzerten und und ein wenig Merchandising verdient werden. Dazu braucht man ein positives Image, sonst würden die Leute nicht in die Hallen kommen. Im Netz kann man ohnehin nichts mehr verdienen, also verschenken viele Musiker ihre Songs jetzt dort, damit können sie wenigstens gut rüberkommen und etwas für ihr Erscheinungsbild tun.
 
Die veränderte Haltung gegenüber dem Urheberrecht zeigt sich am deutlichsten an der Vergütung; die Höhe der Bezahlung ist stets ein guter Gradmesser für die Wertschätzung, die einer Sache entgegengebracht wird. Ein Musiker, der sagt, vor zwanzig Jahren habe ich beim Verkauf einer CD eine bestimmte Summe verdient, ich will heute beim Download der gleichen Musik das Gleiche bekommen, wird merken, dass das völlig unmöglich ist. Das Tonträgergeschäft ist zusammengebrochen und wird sich nicht mehr erholen, und aus dem Netz wird nur ein kläglicher Bruchteil zu holen sein von dem, was einstmals mit CDs zu verdienen war. Das zeigt, was geschehen ist: das Urheberrecht hat an Wert verloren.
 
Ich glaube nicht, dass es vollkommen abgeschafft werden wird und nach dem Motto "Content is free!" in absehbarer Zeit jeder Inhalt frei sein wird. Aber ich denke, dass die Tendenz einer Schwächung des Urheberrechts noch eine Weile weitergehen wird. Es ist eine Tendenz, die, das sollte dieser Text belegen, nicht allein von den technischen Entwicklungen, die freilich notwendige Voraussetzung waren, sondern auch durch kluges und weniger kluges Verhalten der beteiligten Akteure befördert worden ist - und ganz besonders von ihrer unterschiedlichen Meinungsmacht. Die Urheber und ihre Vertreter sollten aus dieser Entwicklung unbedingt die Lehre ziehen, dass Öffentlichkeitsarbeit kein Luxus ist, und Recht haben nicht Recht behalten bedeutet.
 
Es ist ja wirklich herzzerreissend, was man zu hören bekommt, wenn man mit jungen Menschen über diesen Konflikt spricht. Die Verhältnisse sind in den Köpfen völlig verkehrt worden. Da ist der multinationale, börsennotierte und gewinnorientierte Konzern, der von der Verwertung mehr oder minder heimlich abgegriffener Daten lebt, an die er kommt, weil er Dinge veröffentlichen lässt, die ihm nicht gehören: Der wird geliebt und als user-freundlich und zeitgemäß angesehen. Auf der anderen Seite steht ein Verein, der keinen Gewinn machen darf, die GEMA. Seine Aufgabe ist es, die einzelnen Künstler, die seine Mitglieder sind, zu unterstützen, sie in der Auseinandersetzung mit den grossen Verwertern wie Rundfunkgesellschaften oder eben auch Internetgiganten wie YouTube zu ihrem Recht (also: zu ihrem Geld) kommen zu lassen. Der wird gehasst und als übles Kapitalistenmonster wahrgenommen. Was für ein grandioser Triumph für die Öffenlichkeitsarbeit beim einen, was für ein unglaubliches Desaster beim andern!
 
Wenn die Rechtslage etwas ist, was aus dem Rechtsempfinden entsteht, und das Rechtsempfinden etwas ist, das in einem gesellschaftlichen Diskurs sich herausbildet - einem Diskurs, in dem es nicht immer anständig zugehen muss, in dem auch getrickst und gelogen werden kann, wie wir gesehen haben - dann kann man nicht darauf verzichten, in diesem Diskurs mitzusprechen und Einfluss zu nehmen. Es hilft nichts, auf der geltenden Rechtslage zu bestehen. Die kann sich ändern, und beeinflusst wird das nur von denen, die am Diskurs teilnehmen.


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